“Beobachtungsstück”
Auf dem Schauplatz wurde nichts inszeniert, jedoch integrierte ich in meinem “Beobachtungsstück” einzelne Elemente eines Theaterbesuchs. So wurden die Besucher z.B. vor dem Rathaus offiziell empfangen und über den Verlauf des Stücks informiert, erhielten ihr Ticket sowie das Programmheft zu en attendant und wurden dann zum Zuschauerraum, den drei Balkons des Café Restaurant Egghus, der Justizdirektion und des Rathauses, geleitet. Sie wurden eingeladen, aus Distanz das Alltagsgeschehen auf dem Platz zu beobachten, die alltäglichen, humorvollen und hektischen Ereignisse zu verfolgen. Durch den Glockenschlag des Türmli wurde nach dem ersten Akt die Pause eingeleitet. Es trafen sich darauf alle im Rathaus zum Austauschen des Erlebten bei Snacks und einer Erfrischung. Für den zweiten Akt wurden die Besucher zu einem anderen Balkon geführt, um das Alltagsgeschehen aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu können. Da sich die Balkons auf gleicher Höhe befinden und gegenseitig sichtbar sind, hatten die Besucher ebenfalls die Möglichkeit, einander von den einzelnen Zuschauerplätzen aus zuzuschauen. Ziel meines “Beobachtungsstücks” war es, den Besuchern die Gelegenheit zu bieten, innezuhalten und sich Gedanken über die unterschiedlichen Rollen im Alltag zu machen. Dabei spielte auch das Wechselspiel zwischen Darstellern und Zuschauern eine Rolle. Die Personen auf dem Platz wurden zuerst als Darsteller wahrgenommen und die Besucher auf den Balkons waren die Beobachter, doch im Verlaufe des Stücks wurden die Besucher zu Darstellern und die Leute unten auf dem Platz zu Beobachtern. Mit einem Applaus wurde das Stück schliesslich beendet.
Theoretische Masterthesis
In meiner theoretischen Arbeit hatte ich mich mit den verschiedenen Formen des Gegenwartstheaters sowie den unterschiedlichen Rollen eines Individuums im Alltag auseinandergesetzt. Ich konzentrierte mich auf künstlerische Arbeiten mit einer Verbindung zum Alltagsgeschehen, so z.B. untersuchte ich Arbeiten aus der Strassenfotografie, dem Autorentheater und der performativen Intervention. Ausserdem recherchierte ich im Bereich der Soziologie um mehr Aufschluss zur Sicht des Alltags als Theaterbühne zu erlangen. Der Mensch wird von Soziologen oft als Maskenwesen und die unterschiedlichen Rollen als Masken gesehen. Dabei erläutert E. Park, dass das Wort Person in seiner ursprünglichen Bedeutung eine Maske bezeichne und jedermann überall und immer mehr oder weniger bewusst eine Rolle spiele. Schliesslich werde die Vorstellung unserer Rolle zu unserer zweiten Natur und zu einem integralen Teil unserer Persönlichkeit. – “Wir kommen als Individuen zur Welt, bauen einen Charakter auf und werden Personen.”1
1 Goffman, E.: Wir alle spielen Theater, 16. Auflage 2016, S. 21)